Henrik Vigh hat mit „From Warlord to drug lord: The life of Joao Bernardo „Nino“ Viera“ einen lesenswerten, mitunter durchaus unterhaltsamen Artikel über den militärisch-politischen Werdegang des langjährigen Präsidenten von Guinea-Bissau geschrieben.
Der Titel und auch das genutzte Vokabular im Text sind in Teilen leicht populistischer Natur, dafür ist der Text aber für einen akademischen Artikel schon fast spannend zu lesen.
Er beginnt die Lebensgeschichte Nino Vieira’s mit den Umständen seines Todes und schwenkt von dort zum Werdegang des jungen Vieira, beleuchtet seine Karriere im Unabhängigkeitskrieg und seinen folgenden Aufstieg im unabhängigen Guinea-Bissau. Die Zusammenhänge und Hintergründe seiner Machtübernahme und der Konsolidierung seiner Herrschaft (nach dem Putsch 1980) werden einfach und prägnant geschildert. An den wichtigsten Stellen verweist er auf weitere Literatur, verzichtet aber ansonsten weitgehend auf Verweise und Belege.
Insbesondere die Abschnitte zum Demokratischen Übergang und seiner erneuten Kandidatur als Präsident im Jahr 2005 bietet viele sonst wenig berücksichtigte Perspektiven. Insgesamt analysiert auch Vigh die Politik in den Jahren von Nino Vieira unter dem Lemma der Kapazität Geldströme für ein Klientelnetzwerk mobilisieren zu können (ähnlich wie Schiefer 2002). So erscheint der Schwung zum Handel mit Kokain ab 2005 dann auch die logische Konsequenz nach dem Versiegen der ausländischen Geldströme nach dem Bürgerkrieg 98/99 und darauffolgenden chaotischen und instabilen Jahren von 1999 bis 2004.
Sein geschicktes politisches Agieren und sein Vorgehen gegen seine Gegner, analysiert Vigh sozusagen biographisch – er kommt aus einer Guerilla Armee und hat vermutlich gelernt so zu agieren, wie man es gemeinhin unter dem Lemma „Warlord oder Kriegsherr“ bezeichnet. An seinem weiteren politischen Werdegang versucht Vigh zu verdeutlichen, dass sein Handeln bis zu seinem Tode mit dem im Guerilla Krieg Erlernten Kontinuität hatte. Den Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Verteidigungsminister und späteren Präsidenten durchgehend als Warlord zu bezeichnen ist zwar provokant – vielleicht auch ein wenig zweifelhaft – aber ohne die diese deutliche Sprache würde der Text wesentlich weniger zum Nachdenken anregen.
Mitunter überrascht die Sprache, die ihn als besonders brutalen Diktator und Unterdrücker beschreibt. Diese Zuschreibungen sind jedoch vermutlich zutreffend jedoch im Kontext von Guinea-Bissau ungewohnt zu hören. Über Guinea-Bissau wurde wohl lange Zeit so wohlwollend berichtet, dass der Aspekt von allgemeiner Unterdrückung und Verfolgung nicht im Vordergrund stand. Andererseits vermutlich auch, da im Afrikanischen Kontext seiner Zeit als Diktator sehr viel blutigere Bürgerkriege und Despoten das übrige Bild bestimmten. Das Label, dass Vieira als einen der reichsten Männer des Afrikanischen Kontinents beschreibt (S. 167) erscheint angesichts der begrenzten Größe des Landes und damit begrenzten Ressourcen die im Vergleich zu anderen Ländern des Kontinents akkumuliert werden können als übertrieben.
In Hinblick auf den Kokainhandel bleibt die Analyse etwas ambivalent. Einerseits verweist Vigh hier auf sehr viele Zusammenhänge und bietet eine neue Perspektiven auf die Geschehnisse, andererseits verpasst er es einen kritischen Blick auf die Bewertung des Handels mit illegalisierten Substanzen zu werfen. Im Gegenteil, er schlägt die These eines „criminalization of the state“ ein . Die mag zwar zunächst prägnant und einleuchtend erscheinen, aber ob diese These für eine tiefgreifendere Analyse und Diskussion viel bietet, erscheint nicht ganz so überzeugend. Ein wenig erinnert der Text dann irgendwann doch an den Stil, in dem die internationale Presse über Drogenhandel & Co in Bezug auf Guinea-Bissau berichtet. Um den weltweiten Handel mit „Drogen“ zu verstehen braucht es jedoch keine anklagende Sprache, sondern eigentlich eher eine de-eskalierende, der Skandalisierung entgegenwirkende Sprache.
Warum nun eigentlich Tagme Na Waie im Jahre 2009 umgebracht werden musste – ein Mord der dann auch zu Vieira’s eigener Ermordung führt bleibt auch hier weiterhin dubios.
Insgesamt ist die „Geschichte von „Nino“ Vieira“ fast eine komprimierte Geschichte Guinea-Bissau’ s seit der Unabhängigkeit und sehr lesenswert. Lediglich die Phase seines Exils in Europa – in der auch seiner größter Rivale Ansumane Mané getötet wurde – und die Zeit nach seinem Tode bleiben logischerweise leer. Dennoch – so viel Information, Hintergrund und dezidierte Querverweise in einem Text können selbst viele andere Bücher nicht leisten!
**Ein paar Fehler scheinen sich eingeschlichen zu haben:
- Tagme Na Waie wurde nicht am 9. Mai sondern am 1. März 2009 getötet (S. 157)
- Der 5. Kongress der PAIGC, der den Weg zu Mehrparteienwahlen ebnetet kann nicht erst im Dezember 1995 gewesen sein, da die ersten Wahlen bereits 1994 stattfanden.
Vigh, Henrik (2017): From warlord to drug lord: The life of João Bernardo ‘Nino’ Vieira. In: Anders Themnér (Hg.): Warlord democrats in Africa. Ex-militaryleaders and electoral politics. 1st ed. Uppsala, London: Nordiska Afrikainstitutet; Zed Books (Africa now), S. 156–176.
Das Buch kann frei auf den Seiten des Nordic Africa Institute heruntergeladen werden.
Ansonsten kann der Artikel aus dem Buch kann über jede öffentlich Bibliothek für ca. 1,50 Euro als Kopie bestellt werden.